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Kunst in der Katakombe: die Organisation Pro Arte in der Peter- und Paulsfestung. (Foto: eva/.rufo) | |
Dienstag, 09.01.2007
Gegenwartskunst in der Kulturhauptstadt von Gestern
St. Petersburg. Die Gegenwartskunst hat in Petersburg wenig Ausstellungsfläche. Sie besitzt kein eigenes Museum und wird staatlich schwach gefördert – trotzdem blüht sie in der Nische von Galerien und Museumsabteilungen.
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Mag Petersburg den stolzen Namen als Kulturhauptstadt Russlands in der Kunst bis zur Moderne verdienen, so ist es um den Bereich Postmoderne und vor allem um die Gegenwartskunst eher schlecht bestellt. Mit einzelnen Ausstellungen versuchen die beiden Kunstriesen, die Eremitage und das Russische Museum dieses Loch ein wenig zu stopfen, doch geschieht dies eher mutlos und ohne Konzept.
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Mit einer Filiale des Kölner Museums Ludwig verfügt die Fünfmillionen-Metropole zwar das nötigste an postmoderner Kunst, aber ein Museum für Gegenwartskunst fehlt gänzlich. Die Kunst von heute ist bis jetzt an einem kleinen Ort, beziehungsweise an kleinen Orten.
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Puschkinskaja 10, bereits eine Legende
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Als Vorzeige-Adresse für Zeitgenössisches galt lange das Kulturzentrum "Puschkinskaja 10" im Stadtzentrum. 1990 gegründet, war es erst eine Zufluchtsstätte für Untergrundkünstler, die der Sowjetstaat als "assoziale Elemente" verfolgte und die erst als illegale Bewohner ihr neues Heim verteidigen mussten. In den Folgejahren entwickelte sich daraus jedoch ein durchstrukturiertes Zentrum mit Ateliers, Galerien, Verlagen, Clubs und Cafés.
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Bekannt geworden ist das 1998 gegründete Museum für nonkonformistische Kunst, zu dem auch eine Bibliothek und ein Archiv für unabhängige Kunst gehören. Weitere wichtige Elemente dieser Gemeinschaft sind die Neue Akademie der Künste, eine alternative Kunstschule zur bestehenden konservativen Petersburger Akademie, und die GEZ-21, eine Galerie für experimentelle Musik. Wichtiger Treffpunkt und Konzertsaal ist die „Fishfabrique.
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Zwar wird hier eine große Vielfalt geboten, doch bieten die einzelnen Lokale jeweils nur Raum für kleine Ausstellungen. Als Hort der Perestroika-Kultur ist "Puschkinskaja 10" bereits zur Legende geworden.
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Galerie Borey – Magnet für Künstler aus Stadt und Provinz
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Borey-Leiterin Tatiana Ponomarenko. (Foto: eva/.rufo) | |
Eine ähnliche Vergangenheit hat die nach dem kalten Nordwind aus Sibirien benannte Galerie "Borey" am zentral gelegenen Liteiny-Prospekt. Alle zwei Wochen werden in der weit verzweigten "Kunst-Katakombe" neue Werke gezeigt – ein strenger Rhyhmus für eine Galerie, die als Non-Profitorganisation mit kleiner Administration betrieben wird.
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Laut Borey-Leiterin Tatiana Ponomarenko ist es einer der wenigen Orte, an dem Künstler noch kostenlos ausstellen können. "Es ist erstaunlich, aber solche Orte gibt es immer weniger, der größte Teil der Galerieszene arbeitet nur noch auf kommerzieller Basis", meint sie dazu.
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Dementsprechend groß ist der Andrang von Malern, Bildhauern, Fotografen. Jeden Samstag können sie ihre Arbeiten vorstellen und sich an der Auswahlprozedur beteiligen, aus der dann einmal jährlich 22 Kandidaten für das Jahresprogramm ausgewählt werden.
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Die Anwärterschaft setzt sich nicht nur aus Abgängern der Petersburger Kunsthochschulen zusammen, auch für Künstler aus der Provinz gilt die Galerie als wichtiger Steigbügel in die Kunstszene. "Es sind viele hervorragend ausgebildete und talentierte Leute darunter – ihnen versuchen wir ein Forum zu bieten."
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Petersburg ist oft nur Zwischenstation
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Doch selbst für jene, die den Ein- und Aufstieg schaffen, ist die "Kulturhauptstadt" Petersburg meist nur eine Zwischenstation auf dem Weg ins reiche Moskau, wo viele Künstler ganz gut von ihren Aufträgen leben können. "Vielleicht ist es ja ganz gut so, dass in Petersburg weniger Kapital vorhanden ist – es ist manchmal traurig anzusehen, wie sich die Künstler verändern, wenn sie plötzlich Geld haben."
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Unverständnis bei Gesellschaft und Politik
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Obschon die Galerie sich auf zeitgenössische Kunst spezialisiert hat, will man sich dort nicht allzu eng auf Stil und Epoche eingrenzen. Die Galerie wolle eine offene Bühne sein und den Horizont des Publikums erweitern, denn von der Kunsterziehung werde die Gegenwartkunst völlig ausgeschlossen, findet die Galeristin.
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Doch bisweilen zweifelt die erklärte Idealistin an ihrer Mission. "Mein Gott, wie naiv war ich bei der Gründung vor 15 Jahren – damals glaubte ich, einer edlen Aufgabe zu dienen", lacht sie. "Dabei scheint uns hier niemand zu brauchen!"
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Damit meint sie das Unverständnis, auf das die Galerie-Genossenschaft bei Gesellschaft und Politik stößt. So stellte die Galerie vor einiger Zeit die Arbeiten einer Straßenkünstlergruppe mit dem provokativen Namen "Parasiten" aus. Das löste einen Skandal aus, dem empörte Anrufe und Briefe von Besuchern, Behörden und dem städtischen Kulturministerium folgten. Während sich die Künstler über den werbewirksamen Aufruhr freuten, schwitze die Galerieleitung Blut.
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Gefährdete Unabhängigkeit
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Denn obschon das Ausstellungslokal weit gehend unabhängig ist, hat es einen wunden Punkt: die ständig steigenden Mieten. Die Galerie „Borey“ ist Mieterin bei der Stadt, welche kulturelle Organisationen auf diese Weise subventioniert. Die Kriterien, nach denen diese Subventionsliste zusammengestellt werden, ist jedoch nach Ansicht von Ponomarenko sehr undurchsichtig und sorgt für eine indirekte Vorzensur. "Ich fürchte, einfach, dass man uns nach einem weiteren solchen Skandal von der Liste streichen könnte – das würde das Aus für die Galerie bedeuten."
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Trotz allem ist für sie ein Museum für zeitgenössische Kunst keine Lösung. "In einem Museum wird immer das gezeigt, das bereits gewesen ist – das Zeitgenössische geschieht jetzt, es muss sich organisch entwickeln."
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Vielmehr wäre sie für die kurzfristige Vermietung stadteigener leer stehender Immobilien an frei schaffende Künstler bis zum Verkauf. Damit wäre den Künstlern und der Stadt gedient – den einen durch günstige Ateliers, den anderen durch eine kostenlose Instandhaltung der Gebäude. Doch im Immobilien-Eldorado seinen hochschnellenden Quadratmeterpreisen stößt sie mit solchen Ideen verständlicherweise auf keinerlei Verständnis.
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Konservatives Museum mit progressivem Programm
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Kuratorin mit viel Freiheiten: Anna Lebedkowa vom städtischen Skultpurenmuseum. (Foto: eva/.rufo) | |
Das einzige staatliche Museum, in dem die zeitgenössische Kunst einen wichtigen Teil des Ausstellungsprogramms bestreitet, ist das städtische Skulpturenmuseum. Als Verwalter sämtlicher öffentlicher Denkmäler der Stadt gehört es eigentlich zu den konservativsten seiner Art.
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Doch man vergisst, dass diesem Museum nicht nur Monumente wie die gigantische Alexandersäule oder der reitende Zar Nikolaus I neben der Isaakskathedrale unterstehen, sondern auch der kleine und witzige Vogel "Tschischik-Pischik", einem städtischen Freiheitssymbol am Fontankakanal.
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Kuratorin mit viel Freiheit
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Er ist die Lieblingsfigur von Anna Lebedkowa, Kuratorin des neuen Ausstellungssaals des Skultpurenmuseums, der seit vier Jahren regelmäßig auf großzügiger Fläche Zeitgenössisches zeigt. Das Eröffnungsdatum am 19. Februar 2002 ist gleichzeitig der Jahrestag der Aufhebung der Leibeigenschaft in Russland – das ist für Lebedkowa kein Zufall. "Sie wurde erst 1861 aufgehoben – das ist sehr wenig Zeit für die Entwicklung eines Freiheitsgefühls, das in der zeitgenössischen Kunst eine sehr wichtige Rolle spielt", erklärt sie.
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Gemeint ist damit nicht nur Schaffensfreiheit für die Kunstschaffenden und Meinungsfreiheit für das Publikum, sondern auch freies Schalten und Walten für sie als Kuratorin, die der Direktion untersteht. "Ich habe sehr große Freiheiten, fast alles, was ich der Museumsleitung vorlege, wird auch genehmigt", lobt sie.
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Jahrzehntelange Abschottung
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Ihre Aufgabe meistert sie in einer Doppelfunktion. Einerseits hat sie ihre "Hausaufgaben" zu erledigen, indem sie Ausstellungen mit städtischen Skulpturen organisiert. Sie betragen etwa einen Drittel der rund zwölf jährlichen Ausstellungen. Über die restlichen Kapazitäten kann sie frei verfügen.
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Den Freiheitsbegriff verbindet sie auch mit Möglichkeit, zu reisen, wo sie einen weiteren Schwachpunkt der russischen Kulturszene sieht. "Durch die jahrzehntelange Abschottung haben die Russen sehr viel verpasst, das muss nun irgendwie ausgeglichen werden", stellt sie kritisch fest.
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Studenten als Museumsführer
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Während eines Praktikums an der Kunsthalle Hamburg konnte sie die westliche Kunstszene, sowie neue Kunst- und Vermittlungsformen kennen lernen. Diese Erfahrungen und ihre internationalen Kontakte setzt sie nun bei ihrer Arbeit im Ausstellungssaal ein. So werden die meisten Ausstellungen von zusätzlichen Veranstaltungen, Diskussionen und Workshops begleitet und auch eher trockene Materie interessanter gemacht.
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Auch Kinder- und Jugendprojekte spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie setzt dabei auf eine neue Generation und stellt Studenten für Führungen ein. "Museumsführer der älteren Generation wissen gar nicht, was sie zur zeitgenössischen Kunst sagen sollen, weil ihnen das Wissen und das Vokabular fehlte", begründet Lebedkowa diesen Schritt.
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Museen sollen rentieren
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Zur zeitgenössischen Kunst zählen für Lebedkowa auch sozialkritische Themen, womit das konservative russische Publikum so seine Probleme hat. Während der Ausstellung "Russian Shopping", die sich mit der russischen Kauf-Gesellschaft auseinandersetzte, wurde sie von der Presse scharf angegriffen und musste sich nach allen Seiten wehren und erklären.
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Obschon das Museum in seiner Existenz gesichert ist, hat auch sie sich mit Finanzierungsfragen herum zu schlagen. "Neuerdings sollten alle Museum rentabel sein – das mag beim Russischen Museum oder der Eremitage funktionieren, aber für uns kleine ist das viel schwieriger", klagt die Kuratorin.
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Auch hier findet die zeitgenössische Kunst nur in der Nische statt. Aber Lebedkowa ist trotz allem optimistisch und träumt davon, den Innenhof des Museums zu überdachen und so Raum zu gewinnen – die Pläne liegen bereits bereit.
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Pro Arte – zu Gast in fremden Museen
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Eine weitere interessante Nischenlösung hat die Organisation Pro Arte entwickelt. Seit 1999 organisiert die unabhängige, von der Ford-Stiftung geförderte Institution Anlässe mit zeitgenössischer Kunst in den Bereichen bildende Kunst, Musik und Tanz. Pro Arte besitzt zwar in der Peter- und Paulsfestung einen festen Stützpunkt, ihre Ausstellungen und Konzerte sind aber stets zu Gast in fremden Museen der Stadt.
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Dieses Netzwerk-Konzept bietet sehr viele sehr vielseitige Möglichkeiten, da fremde Räume und der Zwang zur Improvisation stets zu originellen Lösungen herausfordern.
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Der einzige Raum, der seit 2003 konstant den Pro Arte-Projekten zur Verfügung steht ist – wie könnte es anders sein – ein Raum in den Katakomben der Festung, die so genannte "Poterna". Zufall? Jedenfalls wurde der zeitgenössischen Kunst damit ein Ort zugewiesen, an dem sie die traditionelle Kulisse nicht im geringsten stört und von außen absolut unsicht- und unhörbar bleibt. (Eugen von Arb/.SPZ)
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